Michaeli, Ilona Block | Waldorfshop

Märchen: Die Königstochter aus der Flammenburg

Ein Märchen aus Josef Haltrichs Sammlung Deutsche Volksmärchen aus dem Sachsenlande in Siebenbürgen (1856). Ein Märchen über Sterne, Flammen und Drachenköpfe – ideal also für Michaeli.

Die Königstochter aus der Flammenburg

Es war einmal ein armer Mann, der hatte so viele Kinder, als Löcher sind in einem Sieb, und hatte alle Leute in seinem Dorfe schon zu Gevatter gehabt; als ihm nun wieder ein Söhnlein geboren wurde, setzte er sich an die Landstraße, um den ersten besten zu Gevatter zu bitten. Da kam ein alter Mann in einem grauen Mantel die Straße, den bat er, und dieser nahm den Antrag willig an, ging mit und half den Knaben taufen. Der alte Mann aber schenkte dem Armen eine Kuh mit einem Kalb; das war an demselben Tage, an welchem der Knabe geboren, zur Welt gekommen und hatte vorn an der Stirne einen goldnen Stern und sollte dem Kleinen gehören.

Als der Knabe größer war, ging er mit seinem Rind, das war nun ein großer Stier geworden, jeden Tag auf die Weide. Der Stier aber konnte sprechen, und wenn sie auf dem Berg angekommen waren, sagte er zum Knaben: „Bleibe du hier und schlafe, indes will ich mir schon meine Weide suchen!” Sowie der Knabe schlief, rannte der Stier wie der Blitz fort und kam auf die große Himmelswiese und fraß hier goldne Sternblumen. Als die Sonne unterging, eilte er zurück und weckte den Knaben, und dann gingen sie nach Hause. Also geschah es jeden Tag, bis der Knabe zwanzig Jahre alt war. Da sprach der Stier eines Tages zu ihm:
„Jetzt sitze mir zwischen die Hörner, und ich trage dich zum König; dann verlange von ihm ein sieben Ellen langes eisernes Schwert und sage, du wollest seine Tochter erlösen.”

Bald waren sie an der Königsburg; der Knabe stieg ab und ging vor den König und sagte, warum er gekommen sei. Der gab gern das verlangte Schwert dem Hirtenknaben; aber er hatte keine große Hoffnung, seine Tochter wiederzusehen, denn schon viele kühne Jünglinge hatten es vergeblich gewagt, sie zu befreien. Es hatte sie nämlich ein zwölfhäuptiger Drache entführt, und dieser wohnte weit weg, wohin niemand gelangen konnte; denn erstens war auf dem Wege dahin ein hohes unübersteigliches Gebirge, zweitens ein weites und stürmisches Meer und drittens wohnte der Drache in einer Flammenburg. Wenn es nun auch jemandem gelungen wäre, über das Gebirg und das Meer zu kommen, so hätte er doch durch die mächtigen Flammen nicht hindurchdringen können, und wäre er glücklich durchgedrungen, so hätte ihn der Drache umgebracht.

Als der Knabe das Schwert hatte, setzte er sich dem Stier zwischen die Hörner, und im Nu waren sie vor dem großen Gebirgswall. „Da können wir wieder umkehren”, sagte er zum Stier, denn er hielt es für unmöglich, hinüber zu kommen. Der Stier aber sprach: „Warte nur einen Augenblick!” und setzte den Knaben zu Boden. Kaum war das geschehen, so nahm er einen Anlauf und schob mit seinen gewaltigen Hörnern das ganze Gebirge auf die Seite, also, dssß sie weiterziehen konnten.

Nun setzte der Stier den Knaben sich wieder zwischen die Hörner, und bald waren sie am Meere angelangt. „Jetzt können wir umkehren!” sprach der Knabe, „denn da kann niemand hinüber!” – „Warte nur einen Augenblick!” sprach der Stier, „und halte dich an meinen Hörnern.” Da neigte er den Kopf zum Wasser und soff und soff das ganze Meer auf, also daß sie trocknen Fußes wie auf einer Wiese weiterzogen. Nun waren sie bald an der Flammenburg. Aber da kam ihnen schon von weitem solche Glut entgegen, dass der Knabe es nicht mehr aushalten konnte. „Halte ein!” rief er dem Stiere zu, „nicht weiter, sonst müssen wir verbrennen.” Der Stier aber lief ganz nahe und goss auf einmal das Meer, das er getrunken hatte, in die Flammen, also dss sie gleich verlöschten und einen mächtigen Qualm erregten, von dem der ganze Himmel mit Wolken bedeckt wurde.

Aber nun stürzte aus dem fürchterlichen Dampfe der zwölfhäuptige Drache voll Wut hervor. „Nun ist es an dir!” sprach der Stier zum Knaben. „Siehe zu, dass du auf einmal dem Ungeheuer alle Häupter abschlägst!” Der nahm alle seine Kraft zusammen, fasste in beide Hände das gewaltige Schwert und versetzte dem Ungeheuer einen so geschwinden Schlag, dass alle Häupter herunterflogen. Aber nun schlug und ringelte sich das Tier auf der Erde, dass sie erzitterte. Der Stier aber nahm den Drachenrumpf auf seine Hörner und schleuderte ihn nach den Wolken, also, dass keine Spur mehr von ihm zu sehen war.

Dann sprach er zum Knaben: „Mein Dienst ist nun zu Ende. Gehe jetzt ins Schloß, da findest du die Königstochter und führe sie heim zu ihrem Vater!” Damit rannte er fort auf die Himmelswiese, und der Knabe sah ihn nicht wieder. Der Junge aber fand die Königstochter drinnen, und sie freute sich sehr, dass sie von dem garstigen Drachen erlöst war. Sie fuhren nun zu ihrem Vater, hielten Hochzeit, und es war große Freude im ganzen Königreich.

***Ende***

Weitere Inspirationen zur Michaeli Zeit findet ihr in unserem Online Shop in der Kategorie Michaeli und hier auf dem Blog bei den Festen.

Das Beitragsbild stammt von einer wunderschönen Postkarte von Ilona Block.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert