Die Grundlage einer guten sprachlichen Entwicklung für das Kind ist die Bewegung, also Laufen und Spielen, des Weiteren braucht es Eltern, die ihren Kindern sinnvolle Tätigkeiten vormachen, eine langsame, ruhige Ansprache an die Kinder mit Augenkontakt, und ganz viel Vorlesen. Am besten die schön beseelten, poetischen Kinderreime für die kleineren Kinder und hochwertige Vorlesebücher. Der Kinderreim ist für die Sprachentwicklung des Kleinkindes von großer Bedeutung. Er macht das Kind mit der Qualität der Vokale und Konsonanten vertraut. Die hervorragende sprachphysiologische und rhythmische Kraft der Reime ist ein Übungsfeld für Lippen, Zunge, Zähne und Gaumen. Eltern und Erzieher sollten den Kleinen die Reime sehr langsam und ausdrucksstark vorsprechen, dabei auf die zugehörigen Bildmotive deuten und die gezeigten Tätigkeiten nachahmen. Durch ständiges Wiederholen erwirbt das Kind allmählich über Hören, Bewegen, Sehen, Tasten und Gleichgewichten eine gesunde Atem- und Sprechfähigkeit. Wir müssen ein neues Bewusstsein dafür schaffen, dass bereits Säuglinge, kleine Kinder, Schulkinder und Erwachsene gut artikulierte, poetisch-rhythmische Vorbildsprache zu ihrer Sprachentwicklung unbedingt brauchen.
Beim Vorlesen können wir eine tiefe, für alle beglückende Atmosphäre schaffen, die mit keinem anderem Medium zu gestalten ist. Vorausgesetzt natürlich, wir haben gute Literatur. Vorlesen können wir Kindern und Jugendlichen, genauso wie sich auch Erwachsene gegenseitig vorlesen können. Und es geht nicht um Lern- oder Wissensinhalte, sondern um das Eintauchen in eine Geschichte, die plötzlich Gegenwart wird. Innere Bilder, Phantasien und Andachtskräfte erzeugt unsere Sprache, wenn sie erklingt – ruhig, langsam und mit der Geschichte mitschwingend. Atemvolles, langsames Vorlesen gehört zum Schönsten und Erquickendsten für Kinder und Erwachsene. Sie sind dann gleichermaßen gebannt, da das Vorlesen eine tiefe, andächtige Stimmung weckt, weil das Zuhören ein Zusammengehörigkeitsgefühl erschafft, das in unserer einsamen, atemlosen, zerrissenen Welt heilend wirkt.
Richtiges Vorlesen sollte geübt werden: Wie spreche ich die Adjektive, wie die Substantive, wie die Verben? Atme ich bei jedem neuen Satz tief ein und mache die Atempausen bei den Kommas und gliedere dadurch die Ereignisse dem Wesen entsprechend? Wie erlebe ich Gegenwart, wie Vergangenheit? Wie behandele ich Naturbeschreibung und Gegenstände? Denn das Erlebnis, das in mir ein A, ein I, ein U oder O hervorruft, hat unmittelbaren Bezug zu meinem innersten seelischen Empfinden Immer, wenn Sie Vokale und Konsonanten laut artikulieren, rufen Sie aufbauende, schwingende Lautqualitäten in die Gegenwart. Besonders die herzhafte, liebevolle, immer nach innerer Wahrheit suchende Sprache der Selma Lagerlöf bringt die tiefsten, menschlichsten Seelenregungen zum Schwingen. Kinder sehnen sich danach, Laute zu hören, zu schmecken und sich in der rhythmischen Kraft geborgen und versorgt zu fühlen!
(frei nach „Sprache statt Schnuller“ von Heide Mende-Kurz)